Vorwort


Im November 2012 – kurz vor der Präsidentschaftswahl in Südkorea – hatte der Künstler Hong Sung-dam in der Ausstellung »Der Auszug der Seele aus dem Körper – Das Porträt der Yushin-Reform« im Museum für Frieden (Pyonghwa Bakmulkwan) in Seoul Arbeiten gezeigt, die eine kritische Haltung zur Kandidatin Park Geun-hye einnahmen (Goldene Zeit / Golden Time, 2012). Park Geun-hye, die heutige Präsidentin, ist die Tochter von Park Chung-hee, der nach einem Militärputsch Südkorea von 1961 bis 1979 mit diktatorischer Härte regierte. Wegen ihres offenen Bekenntnisses zur Politik ihres Vaters wird ihre Wahl von den progressiven und kritischen Kräften Südkoreas als gravierende Niederlage für die demokratische Entwicklung betrachtet. Während der Ausstellung wurde Hong Sung-dam tatsächlich von der Nationalen Wahlkommission wegen Verleumdung Park Geun-hyes verklagt, das Museum für Frieden polizeilich durchsucht, eine Spendenliste unter dem Vorwand der Veruntreuung von Geldern konfisziert und so das Museum für die Inhalte der Ausstellung »verwarnt«.

Die Ausstellung »Verbotene Bilder – Kontrolle und Zensur in den Demokratien Ostasiens« thematisiert jedoch nicht nur die Situation in Südkorea, sondern auch die der Nachbarländer Japan und Taiwan. Diese drei Länder werden von außen als vorbildliche Demokratien Ostasiens wahrgenommen und behandelt. Sie zählen zur »guten Seite«. Dabei wird außer Acht gelassen, dass in allen drei Ländern keine wirklich funktionierende Demokratie im westeuropäischen Sinne herrscht. Die kaum aufgearbeitete imperialistische Epoche der japanischen Politik und die unbewältigte Kolonisierung Taiwans und Koreas, die damit einherging, sowie die Nachwehen des Kalten Krieges sind wichtige Ursachen dafür, dass Meinungsfreiheit in allen drei Ländern von staatlicher Seite nicht als selbstverständlich akzeptiert wird. Eine der Folgen ist, dass die schematisch polarisierende Darstellung, die in Westeuropa und den USA üblich ist, schon in diesen Ländern selbst das öffentliche Bewusstsein bestimmt: Nord- und Südkorea werden ebenso wie China und Taiwan in einfachen Unterscheidungen gegenübergestellt: Sozialismus vs. Marktwirtschaft, Diktatur vs. Demokratie und Böse vs. Gut.

In der Ausstellung werden Werke von jeweils zwei Künstler_innen aus Japan, aus Südkorea und aus Taiwan gezeigt. Sie thematisieren kritisch die aktuelle Politik und rühren an die Tabus ihrer Länder, setzen sich für Meinungsfreiheit und Menschenrechte sowie die Aufarbeitung neuralgischer Themen der Vergangenheit ein und sie scheuen dabei die sozialen und politischen Konsequenzen ihrer Arbeit nicht.

Tomiyama Taeko wird ihr ganzes Leben in Form einer Montage aus 50 Werken darstellen, die mit stets kritischem Blick auf das japanische Kaiserreich entstanden sind. Nakagaki Kasuhisa präsentiert seine jüngste Installation, die von der Kuratorin des Metropolitan Museum in Tokio zensiert wurde. Chen Chieh-jen und Chen Ching-Yao zeigen durch ihr künstlerisches Engagement die Themen auf, die in der taiwanesischen Gesellschaft lange Zeit tabuisiert wurden. Hong Sung-dam wurde in den 1980ern wegen seiner kritischen Haltung politisch verfolgt und gefoltert. Er ließ sich den Willen nicht brechen und gab den Kampf nie auf. Seine polemische Kritik an Park Geun-hye gilt inzwischen als so »furchtbar« und »schwer«, dass seine Bilder im doppelten Sinne des Wortes UNTRAGBAR geworden sind: In letzter Minute weigerte sich die beauftragte südkoreanische Kunstspedition, die Werke von Hong Sung-dam nach Deutschland zu transportieren, aus Angst, in den Ruf zu geraten, die Verbreitung verbotener Bilder zu unterstützen - vorauseilender Gehorsam funktioniert auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Der heute südkoreanische Künstler Sunmu stammt aus Nordkorea und macht sich bei beiden Regimen unbeliebt, weil er nicht nur der nordkoreanischen, sondern auch der südkoreanischen Politik kritisch gegenübersteht. Auch seine Werke sind von der südkoreanischen Spedition nicht transportiert worden. Wir entschieden uns, die Bilder, die wir zeigen wollten, im Katalog abzudrucken. Bei der Ausstellung werden beide Künstler ihre Werke performativ re-präsentieren.

Wir möchten uns vor allem bei Prof. Dr. Vladimir Tikhonov, Kim Jong-gil, Prof. Dr. Rebecca Jennison, Arai Hiroyuki und Prof. Dr. Suh Sung für ihre inhaltsreichen Analysen zur komplexen Geschichte Ostasiens und zum Schaffen der Künstler_innen dieser Ausstellung bedanken. Ebenso danken wir Prof. Dr. Humphrey für seine unermüdliche Übersetzungsarbeit, Dr. Kai Lorenz und Kerstin Karge für das akribische Lektorat und Dong-Ha Choe für die wunderbare Gestaltung des Katalogs.



Berlin, den 31.03.2015
Han Nataly Jung-Hwa, Yajima Tsukasa, Yoo Jae-Hyun




Das Recht auf freie Meinungsäußerung im heutigen Ostasien

Vladimir Tikhonov

Es gibt wohl fast nirgends ein absolutes Recht auf freie Meinungsäußerung, egal welche Gesellschaftsform man untersucht. Den Bürgern Deutschlands ist die öffentliche Holocaustverleugnung bekanntlich rechtlich untersagt – anscheinend genießt dieses spezifische Verbot in den verschiedensten soziopolitischen Kreisen breite Zustimmung. Generell gilt, dass Meinungsäußerungen, die von einer beträchtlichen Anzahl der Bürger als kulturell oder religiös anstößig empfunden werden könnten, selbst wenn sie rein rechtlich unproblematisch sind, freiwillig gezähmt werden sollten, insbesondere dann, wenn die Äußerung zum gesellschaftlichen Mainstream gehört, während die gekränkte Minderheit vergleichsweise unprivilegiert ist. So war im Mitleid für die Opfer des Charlie-Hebdo-Attentats wegen eines wahrgenommenen Mangels an Sensibilität und Respekt seitens der Zeitschrift gegenüber den französischen Muslimen, die vom Mainstream der französischen Gesellschaft relativ entfremdet leben, oft eine Beimischung an Skepsis vorhanden. In einem Punkt hingegen ist der liberale Konsens in den meisten europäischen Gesellschaften unnachgiebig: Jedweder Versuch, die – geschriebene oder gezeichnete – Kritik an einer Regierung einzuschränken, wird als Angriff auf die Fundamente einer liberalen Gesellschaftsordnung und ein liberales Politikverständnis verstanden. Per definitionem muss eine liberale Regierung jegliche gegen sie gerichtete kritische Meinungsäußerung tolerieren, sofern diese nicht regelrechte Verleumdungen oder persönliche Drohungen enthält.

In vielen Ländern, die eine autoritäre nachholende Modernisierung von oben – oft »konservative Revolution« genannt – durchgemacht haben, ist der Staat indes stark genug, um sich über solche liberalen Feinheiten hinwegzusetzen, und die Zivilgesellschaft ist hingegen allzu schwach, um den Staat zu einem Rückzug zu zwingen. In solchen Staaten entwickeln sich häufig komplizierte und allumfassende Zensursysteme, die nicht nur die Regierungsautorität, sondern auch ein konservativ geprägtes Bündel an sozialen, ethischen und ästhetischen Normen und Kriterien, welche die Regierung internalisiert haben möchte, festigen. Wie der berühmte US-amerikanische Soziologe Barrington Moore (1913-2005) behauptete, stellte das imperiale Japan der Jahre 1868-1945 das Musterbeispiel einer solchen »Revolution von oben« dar, die in einen von einem autoritären Beamtenkader sowie von einer reaktionären, staatsabhängigen Bourgeosie geführten Staat mündete. Die Zensur im imperialen Japan war das Paradebeispiel eines autoritären Staats, der den öffentlichen Raum gemäß den eigenen Vorlieben ummodelte. In den bildenden Künsten sowie im Film wurden nicht nur die offene Kritik am imperialen System oder die Heroisierung des regierungskritischen Widerstands, sondern auch positive Darstellungen von »beunruhigenden« Gewaltakten (Brandstiftung, Mord, Diebstahl usw.) sowie außerehelichen und anderen »unzulässigen« sexuellen Aktivitäten streng verboten. Gemäß den 1918 eingeführten und 1925 novellierten Regelungen unterlagen Filme der vorherigen Genehmigung durch den Zensor und durften darüber hinaus nur mit Erlaubnis der lokalen Polizeibehörde gezeigt werden. Während dieses System Japan und seine damaligen Kolonien Korea und Taiwan vor der revolutionären Kunst erfolgreich schützte – die frühen sowjetischen Kino-Meisterwerke »Panzerkreuzer Potemkin« und »Die Mutter« gelangten im kolonialen Korea nie zur Aufführung, sorgte es auch dafür, dass der von Japan beherrschte Teil Ostasiens zu einem lukrativen Markt für Hollywood-Produzenten wurde, die sich gerne den japanischen Zensoren angebiedert und bereitwillig ›anstößige‹ Szenen (falls überhaupt vorhanden) gestrichen haben. Bis 1934 beherrschte Hollywood etwa 62% des einheimischen koreanischen Filmmarktes und lieferte so den unmissverständlichen Beweis dafür, dass eine autoritäre staatliche Zensur mit kommerziell profitablem Kino durchaus vereinbar ist. Zusätzlich zu Droh- und Strafmaßnahmen hielt der japanische Imperialstaat auch Belohnungen bereit, indem er Künstlern – und Filmproduzenten gleichermaßen – die Gelegenheit bot, zu Ruhm und Profit durch »nichtkontroverse«, innerhalb eines kontrollierten öffentlichen Raums artikulierte Ausdrucksformen zu gelangen. Die alljährliche Koreanische Kunstausstellung etwa, die erstmals 1922 vom japanischen Generalgouverneur in Korea eröffnet wurde, stellte eine solche Gelegenheit dar, denn die preisgekrönten Bilder und Plastiken gingen anschließend auf eine von der Regierung subventionierte Tournee durch das ganze Land. Die Ausstellung wurde regelmäßig von koreanischen Werken beherrscht, die getreu die verwestlichte japanische Kunst nachahmten – zu den beliebtesten Motiven gehörte die »moderne« Frau, die sich fröhlich ihrer Bestimmung als »weise Mutter und gute Ehefrau« widmete. Im »orientalischen« Teil der Ausstellung dominierten üblicherweise »archetypisch koreanische« Landschaften und »orientalische« Schönheiten, was bewusst oder unbewusst der Orientalisierung Koreas durch die japanischen Herrscher Vorschub leistete. Preisgekrönte koreanische Künstler wie Kim Eunho (1892-1979) oder Yi Sangbeom (1897-1972) kollaborierten daraufhin begeistert mit den Japanern im Krieg 1937-1945; ihre Jünger sowie die jüngeren, von ihnen ausgebildeten Künstler prägen bis heute die südkoreanische Kunstszene.

Der japanische Imperialstaat verschwand offiziell 1945. Das von ihm entwickelte, autoritäre Maßnahmengeflecht – inklusive Zensur – florierte aber weiterhin in den Teilen von Ostasien, die nunmehr in den US-amerikanischen Einflussbereich zwangseingegliedert werden sollten, wenn auch gelegentlich in weniger expliziter Form.
Anfangs sollte der US-Liberalismus – der bald im Zeichen des Kalten Krieges von einem autoritären antikommunistischen Regime ernsthaft in die Schranken gefordert wurde – nicht ohne Abstriche an der östlichen Peripherie des neuen amerikanischen Einflussbereichs zum Einsatz kommen. In Japan, das bis 1952 besetzt wurde, sowie in Korea, wo die Besetzung bis 1948 dauerte, zogen es die US-Militärbehörden vor, Zensursysteme einzurichten, die jegliche öffentliche Informationsquelle, die den US-Interessen widersprach – etwa Diskussionen über die Folgen der amerikanischen Atomangriffe auf japanische Städte – zu unterdrücken hatten. Anders als bei dem vor 1945 fungierenden Zensursystem, das offenkundig und allgemein bekannt war, wurde nach 1945 bereits die Erwähnung des neu eingerichteten Zensursystems verboten. Indem Japan sich zu einer wohlhabenden, konsumgesteuerten Gesellschaft entwickelte, verschwand allmählich die Notwendigkeit solcher Einschränkungen. Im heutigen Japan – hierin dem Großteil der kapitalistischen Welt nicht unähnlich – ist das Standbein der Zensur eine von einflussreichen öffentlichen und privaten Instanzen ausgeübte Selbstzensur, die weitestgehend den Zugang zum öffentlichen Meinungsäußerungsraum reguliert.

Bemerkenswert ist aber, dass – wie die Organisatoren der Ausstellung »Hyogen no Fujiyu Ten« (»Ausstellung zur Unfreiheit der Meinungsäußerung«) in der Galerie Furuto in Tokio unlängst scharfsinning anmerkten – viele der zentralen, durch die Selbstzensurpraxis aufrechterhaltenen Tabus noch aus den Vorkriegsjahren stammen. Das Bild des Kriegskaisers Hirohito sowie die Bilder anderer japanischer Kaiser werden gemeinhin vor einer kritischen Darstellung im Film oder in der Kunst, zumindest in Mainstream-Werken, geschützt, was an die Vorkriegsgesetzgebung erinnert, in der Majestätsbeleidigung und/oder Kritik am imperialen System verboten waren. Noch beunruhigender ist der Tatbestand, dass es für ungebührlich gehalten wird, selbst von der kaiserlichen Armee begangene Verbrechen öffentlich zu kritisieren, zumal in den populären Medien. Ein Beispiel: In der NHK-Dokumentation des Schautribunals zu japanischen Kriegsverbrechen, die am 30. Januar 2001 ausgestrahlt wurde, mussten wesentliche Passagen, in denen es um Hirohitos Verantwortung für den Krieg und die in ihm begangenen Verbrechen ging, gemäß den »Wünschen« der konservativen Politiker gestrichen werden. 2012 ließ der japanische Konzernriese Nikon eine Ausstellung fotografischer Porträts von einstigen Sex-Sklavinnen (»Trostfrauen«) des japanischen Heeres platzen – offensichtlich aus Angst vor einer möglichen (ultra)konservativen (Über-)Reaktion auf die Veranstaltung.1 Der konservative Konsens, der seit den Säuberungswellen der US-Besatzungsbehörden gegen die Linke in der japanischen Gesellschaft tonangebend ist, toleriert keine radikale Kritik am angeblich »symbolischen« japanischen Staatsoberhaupt (dem Kaiser) und ebenfalls keine tiefschürfende und gründliche Auseinandersetzung mit den vom Staat begangenen Verbrechen – zumindest innerhalb des vom Staat und den Konzernen beherrschten öffentlichen Raums. In dieser Hinsicht ist Japan, das angeblich eine »liberale Demokratie« ist und den wichtigsten untergeordneten Partner des US-Empires in Ostasien darstellt, eben kein liberaler Staat – mehr noch: Es war nie einer. Aus den »harten« autoritären Strukturen der Vorkriegsjahre hat sich der weichere, weniger explizite Autoritarismus der von übermächtigen Bürokratien und Konzernen eng kontrollierten Nachkriegskonsumgesellschaft entwickelt.

In anderen Ländern Ostasiens, selbst in denen, die formell »liberal-demokratisch« sind, geht die Staatszensur oft noch dreister vor: In Südkorea wurde ein Amateur-Künstler 2010/2011 zunächst festgenommen und dann zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er den Präsidenten Lee Myungbak in einem Graffito auf einem offiziellen Poster für das G20-Gipfeltreffen satirisch dargestellt hatte.2 In allen Ländern Ostasiens, seien sie formell »demokratisch« oder formell »sozialistisch«, wird die Kunst zunehmend als Teil des »Marktes« definiert, wobei die Geschmacksvorlieben der vermögenden Käufer – die in den meisten Fällen wenig Interesse an antibürgerlichen oder radikalen Ausdrucksformen an den Tag legen – schnell zur Hauptinstanz in ästhetischen Anglegenheiten avancieren. Selbst Nordkorea trat in den letzten Jahren auf dem weltweiten Kunstmarkt auf, wobei sogar Bilder von bikinibekleideten Frauen am Strand ausdrücklich für den »ausländischen Geschmack«3 produziert wurden. Staatszensur, Selbstzensur und Kommerzialisierung lassen die freie Meinungsäußerung zu einem abstrakten, in den meisten Verfassungen Ostasiens zwar verankerten Prinzip werden, das aber für das tatsächliche, tagtägliche Funktionieren der ostasiatischen Gesellschaften kaum von Relevanz ist. Nur ein bewusster Angriff auf die Tabus des Mainstreams durch den aktionistischen, radikalen Teil der Zivilgesellschaft hätte das Potenzial, aus diesem abstrakten Prinzip eine lebendige, greifbare Realität werden zu lassen. Wie jede Freiheit ist auch die Freiheit der Meinungsäußerung nur durch permanenten Kampf zu erlangen und zu erhalten.


1 http://www.japantimes.co.jp/news/...
2 http://www.yonhapnews.co.kr/society/...
3 http://www.dailymail.co.uk/wires/afp/...

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